Glassjaw – Material Control (Review)

Glassjaw sind zurück. Mit Wucht. Mit Material Control. Und sie zeigen, wie Post-Hardcore-Metal abseits von Gepose und all den Klischees zu klingen hat. Anspruchsvoll und agressiv, durchdacht und druckvoll.
Glassjaw Material Control bundles

Material Control —
das Album-Comeback von Glassjaw

Große Aufregung: Glassjaw bringen ein neues Album raus. Diesmal wirklich. Es heißt Material Control. Es existiert. Ich höre es gerade. Und nachdem das Label es Ausversehen zur Vorbestellung bei Amazon einstellte – ursprünglicher Plan war eine Überraschung für Fans in Form einer abspielbaren Flexi Disc Postkarte -, wird nach dem Leak (etwas ironisch bei dem Albumtitel)  nun auch Promo gemacht.  Es kommt (digital, physisch wohl erst 2018) am 1. Dezember raus. Es gibt auf der Webseite zusätzlich zu einem Snippet aus dem Titeltrack diverse Bundles, die von Klamotten über eine Release-Show bis hin zu einem Glassjaw-Tattoo gehen. Der Rest? Wie bei Glassjaw gewohnt etwas kryptisch.
Glassjaw 2017 Daryl Palumbo Justin Beck
Aber es gibt ein Album. Punkt. Aus. Dass schon das nicht ganz selbstverständlich ist, kannst Du ganz schick in der ausführlichen Wikipedia-Biographie lesen, die auch den Titel Irrungen und Wirrungen tragen könnte. Immer wieder führten Krankheit (Daryl Palumbo leidet an Morbus Crohn, das Leben als Musiker in einer HC-Band verschafft nicht gerade die notwendige Schonung), Stress mit Labels, Besetzungswechsel und auch der eigene hohe Anspruch an sich selbst zu verschobenen Alben und Auflösungen. Und mittlerweile 15 Jahren seit Worship and Tribute. Lediglich ein paar Einzeltracks und zwei mit Ach und Krach veöffentlichte EPs ließen die Fanschar daran glauben, dass diese Band tatsächlich noch existiert.

Glassjaw = Daryl Palumbo, Justin Beck + Gäste

Wer spielt derzeit bei Glassjaw? In einer FB-Story sind lediglich die Glassjaw-Konstanten Justin Beck und Daryl Palumbo zu sehen. Am Schlagzeug scheint nach eigenen Aussagen in einem Podcast (“I recorded a record for them that’s probably due to come out sometime in 2036. Hopefully it’ll be out next year… I tracked a bunch of songs for them and a whole album’s worth of material. They’re waiting to see how they’re going to release it.”) niemand geringeres als Billy Rymer, seines Zeichens Drummer bei The Dillinger Escape Plan, zu sitzen. In einem Interview bestätigen die Gründungsmitglieder Palumbo und Beck dies. Die Bass-Duties stammen demnach wohl von Beck. Sollte kein Problem für den Multi-Instrumentalisten darstellen, war er doch ursprünglich Drummer der Band, wechselte dann an den Bass, bevor er seinen festen Platz an der Gitarre fand.
Glassjaw Material Control CoverAber kommen wir endlich mal zur Musik. Erste Amtshandlung von Material Control: alles wegmähen. New White Extremity wurde zwar schon vor ca zwei Jahren mal aus der Reihe veröffentlicht, aber die ganzen Spacken, die man beim Verlassen der eigenen vier Wände nicht vermeiden kann, kann man nicht oft genug angiften. Die folgenden Songs Shira (die rausgehauene Vorab-Single), 11 Days, 11 Nights und gerade Golgatha (Favorit nach den ersten Durchgängen) lassen Freunde der härteren Klänge wie den langjährigen Weggefährten und Deftones-Gitarristen Stephen Carpenter, der keinen Hehl draus macht, dass er mit dem letzten Release seiner eigenen Band nicht so viel anfangen konnte, neidisch aufseufzen ….
Glassjaw sind auch 2017 keine Fans von Kompromissen. Schlagzeugtechnisch wird auf alles eingeprügelt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, Justin Becks Gitarre pendelt zwischen dickem Riffgewitter und Aufkreischen, den Bass lässt er brummen und fleißig über das Griffbrett achteln. Das mündet in regelmäßigen Ausflügen in die Dissonanz. Perfekt eingebettet in dieser brachialen und trotzdem stets mächtig groovenden Soundwand: der besessen klingende Gesang von Daryl Palumbo, der seine Bewunderung für Mike Patton gar nicht erst versteckt.
In Pretty Hell (geiler Basssound!) und Bastille Day lassen Glassjaw dubbige Jazz & Ambient-Einflüsse die Überhand gewinnen, bevor mit Pompeii und Bibleland zweimal Brett vor den Kopf geklatscht wird. Chaoscore ist als Referenz vielleicht ein wenig zu viel des guten, aber es geht in die Richtung. Closer kombiniert punkige Uptempo-Strophe mit Faith No More’eskem Refrain,  es folgt mit My Conscience Ways A Ton der vermeintlich zugänglichste Song auf Material Control. Während andere Bands einen Titeltrack zum Eckpfeiler ihres Albums ausarbeiten, machen Glassjaw wieder mal alles so, wie sie es wollen: Material Control ist ein anderthalbminütiges Instrumental. Nicht mehr, nicht weniger. Abschließend tobt sich Daryl Palumbo noch einmal ausgiebig auf einem Brett namens Cut And Run aus.
Das Warten auf Glassjaw war lang. Aber es hat sich gelohnt. Wer bei Material Control die „Braucht kein Mensch. Die Reunion hätten sie sich auch sparen können. Nach dem ersten Demo gings bei denen eh bergab“-Karte zückt, macht das lediglich aus zwanghaftem Reflex und hat nicht wirklich hingehört. Glassjaw machen auf Material Control das, was sie schon immer blendend gemacht haben: Zeigen, wie Post-Hardcore-Metal abseits von Gepose und all den Klischees zu klingen hat. Anspruchsvoll und agressiv, durchdacht und druckvoll.

Glassjaw – Shira