Interview mit Bad Religion: Jede Platte ist das Selbe in Anders

Pünktlich zum Besuch von Papst Benedikt XVI. sind auch Bad Religion in Köln. Und wir zum Interview – wobei sich noch klärt, mit wem wir sprechen werden. Brian Baker ist dein Interviewpartner – das war die erste Ansage. Also dementsprechend Fragen überlegt. Vor Ort dann: Greg Hetson ist dein Interviewpartner. Okay…Greg Hetson…Circle Jerks…Da fällt mir noch schnell was ein…Plötzlich kommt Jay Bentley aus dem Raum. Jay ist dein Interviewpartner…Los geht’s!
GETADDICTED: Ist ja ein netter Zufall, dass der Papst und eine Band mit dem Namen Bad Religion am gleichen Tag in Köln ankommen.
Jay: Klar, wir sind heute morgen extra früh angereist, damit wir ihn verhauen können (lacht). Ich kann mich nicht dran erinnern, dass das schon jemals passiert ist! (lacht) Das ist natürlich eine ironische Sache. Wir kommen viel mehr herum als der Papst. Wir sind ja immer irgendwo unterwegs. Aber mal am gleichen Tag in der selben Stadt zu sein wie der Papst ist schon cool!
GETADDICTED: Aber ihr hattet keine Probleme in die Stadt zu kommen oder? Könnte ja sein, dass man Bad Religion als Bedrohung für den Papst ansieht.
Jay: Deshalb sind wir ja so früh gekommen! Alle, die mit dem Zug gekommen sind – also Graffin (Greg, Sänger, Anm.), Hetson (auch Greg, Gitarrist, Anm.) und Brooks (Wackerman, Drummer, Anm.) – die hatten echt Probleme. Alle Straßen waren blockiert, die kamen nicht zu und erst auch nicht in ihr Hotel. Aber als Terroristen würden wir glaub ich nicht gesehen (lacht)

Jay Bentley und Papst Benedikt XVI.

Jay Bentley und Papst Benedikt XVI.

GETADDICTED: Wenn du jetzt die Chance hättest, den Papst zu treffen, was würdest du ihm sagen?
Jay: Ich weiß nicht genau! Ich würde gerne ein bisschen mit ihm abhängen und quatschen. Ein Mensch, der in einer Kongregation von acht oder zwölf Leuten zum Papst bestimmt wird (die Veranstaltung heißt zwar Konklave und es waren 115 Kardinäle, aber ist ja nicht so schlimm, Anm.), der hat einen ganz besonderen Sinn für Spiritualität, der hat eine außergewöhnliche Position und ein sehr breit gefächertes Wissen über Religion. Ich würde ihn mal fragen, wie das alles funktioniert – für ihn jetzt! Das wäre sehr interessant, zu hören, wie das alles für ihn einen Sinn ergibt.

„Mich interessiert Graffins Meinung dazu nicht“

GETADDICTED: Für dich würde es wahrscheinlich nicht so einen Sinn machen.
Jay: Irgendwie schon. Religion ist ein unglaublicher Glaubensbeweis. Du musst daran glauben! Ob Jesus nun über Wasser gelaufen ist oder ob Moses das Rote Meer geteilt hat – in jeder Religion kommt irgendwann der Punkt, wo Fakten zu Glauben werden. Du musst einfach glauben, dass bestimmte Wunder passiert sind. Einige Dinge davon sind akzeptabel. Es ist natürlich einem Menschen nicht möglich, ein Meer zu teilen und ich glaube auch nicht, dass es einen seltsamen Weihnachtsmann oder irgendwas im Himmel gibt, der einem Menschen dabei hilft, das Meer zu teilen, also würde ich es wissenschaftlich am ehesten mit einem ziemlich niedrigen Wasserstand erklären und die Menschen sind vielleicht über eine Sandbank gelaufen, meinetwegen. Wenn es aber dann zu Adam und Eva kommt, was eine ziemlich einfache Sache ist, dann muss ich sagen, wissenschaftlich gesehen ist Evolution Fakt! Realität! (fängt plötzlich laut an zu lachen und brüllt laut „Sorry“). Im Nebenraum klingelt gerade mein Handy und da ist jemand ziemlich sauer (lacht weiter). Aber in den USA gibt es Menschen, die einfach trotzdem an Adam und Eva glauben. Ich würde einfach gerne mit jemandem reden, der das Oberhaupt von vielen Menschen ist, die alle daran glauben. Und außerdem soll er mich durch den ganzen verdammten Vatikan führen! (lacht) Ich war zwar mal da, aber nicht wirklich überall drin! Ich will in die verdammten Katakomben, in die letzte hintere Ecke, ich will diese ganzen, über Jahrhunderte gesammelten Dokumente sehen!
GETADDICTED: Über genau das Spannungsfeld zwischen Evolution und Adam und Eva hat ja Greg Graffin auch seine Dissertation geschrieben. Hast du sie gelesen?
Jay: Nein!
GETADDICTED: So sehr interessiert dich das Thema dann doch nicht?
Jay: Mich interessiert seine Meinung zu dem Thema nicht so sehr! Ich meine, das ist eine These! Er hat eine Vorstellung zu diesem Thema! Er hat ja auch ein Punkrock-Manifest geschrieben. Aber es interessiert mich nicht, was seine Vorstellung von Punkrock ist! Das habe ich auch nicht gelesen. Seine Vorstellung von Punkrock ist nicht meine! Und seine interessiert mich nicht! Mich interessiert auch nicht, was jemand vom „Maximum Rock’n’Roll“ schreibt. Eine These ist eben nur die Vorstellung über etwas. Eine Doktorarbeit ist dann nur die Lizenz, von irgend etwas eine Vorstellung haben zu dürfen und eine Meinung, weil er halt einen Doktortitel hat. Brett und ich haben die High School abgebrochen. Trotzdem glaube ich, dass meine Meinung auch gültig ist (lacht). Natürlich glauben in der großen, echten Welt die Leute ihm eher als mir, aber das ist auch okay, weil er viel härter dafür gearbeitet hat, diese Lizenz zu erwerben.
GETADDICTED: Im Moment sitzen ja auch die ganzen Pilger am Dom oder in der Stadt und spielen Gitarre. Würdest du dich dann nicht auch gerne mal mit denen unterhalten und ein paar Songs spielen?
Jay: Nein, nicht spielen. Ich schaue mir lieber andere Leute beim Spielen an, als dass ich selber spiele. Das mache ich ja die ganze Zeit. Ich amüsiere mich mehr dabei, anderen zuzuschauen, als es selber zu machen. Wir sind noch bis um 6 Uhr in der Stadt. Vielleicht schaue ich da später noch mal vorbei.
GETADDICTED: Bad Religion gibt es seit einer halben Ewigkeit. Wie würdest du aus heutiger Sicht den 15, 16 Jahre alten Jay Bentley, der damals Bad Religion mitgegründet hat, beschreiben?
Jay: Ok, ich bin älter. Viel älter! Wir waren eben 15 als wir die Band gründeten, und wir waren unwahrscheinlich wütend! Wir waren nicht arm, wir wurden nicht missbraucht. Okay, Greg und ich kamen aus Scheidungsfamilien, aber das ist ja auch nicht so außergewöhnlich. Wir mochten die Welt, aus der wir kamen, einfach nicht. Und mit 15 waren für mich Skateboarden, Surfen, Saufen und einfach verrückt und sauer auf die Welt sein viel wichtiger als diese Sterilität der Welt. Heute sind für mich Skateboarden, Surfen, Saufen und einfach verrückt sein einfach immer noch wichtiger als diese Sterilität der Welt, aber ich bin nicht mehr sauer auf die Welt an sich, sondern sauer auf bestimmte Dinge. Der Unterschied ist, dass ich heute genau weiß, auf welche Dinge. Es ist nicht mehr diese blinde Wut, weil ich jetzt auch weiß, wer an gewissen Dingen Schuld ist.

„Wie gesagt: Skateboarding, Surfen, Trinken.“

GETADDICTED: Etwa zur gleichen Zeit sind ja auch Minor Threat entstanden (mit Brian Baker, der heute bei Bad Religion spielt, Anm.). Wie bist du zum ersten Mal mit denen in Berührung gekommen?
Jay: Nie direkt, als es die Band noch gab! Aber es hat natürlich jeder Minor Threat genau so gehört wie Black Flag, Bad Brains. Aber wir waren an der Westküste, sie an der Ostküste. Trotzdem gab es Bands, die andere Bands dann herüber gebracht haben. Allerdings habe ich Minor Threat nie live spielen sehen. Ian (MacKaye, Sänger von Minor Threat und Fugazi, Anm.) habe ich zum ersten Mal persönlich getroffen, als Brian schon bei uns gespielt hat und Ian zu unserem Konzert gekommen ist.
GETADDICTED: Brian sagt selber, er war bei Minor Threat am Anfang Straight Edge, weil er 15 war. Du sagst, in dem Alter habt ihr lustig Alkohol getrunken. Unterhaltet ihr euch manchmal über solche Einstellungen? Ich denke ja mal, er ist heute nicht mehr Straight Edge.
Jay (kriegt einen Lachanfall): Brian und Straight Edge! Haha! Der war gut! (lacht immer noch) Also wenn man ihn heute fragt, würde er sagen, dass das eine gute Sache war, bis die Straight Edge-Bewegung militant geworden ist. Als Leute anfingen, andere zu vermöbeln, weil die geraucht und getrunken haben. Da würde er sagen, das ist dumm und ich stimme mit ihm da völlig überein. Selbst Ian selber stört es nicht, was Brian macht oder was ich mache! Er macht es nicht und damit gut! Wenn jemand aus Überzeugung für sich selber entscheidet, sein Leben so zu führen, dann ist das okay! Aber lass mich damit bitte in Ruhe. Wie gesagt: Skateboarding, Surfen, Trinken.
GETADDICTED: Wie war es früher mit den Circle Jerks? Da hat ja schließlich Greg Hetson auch gespielt.
Jay: Die kamen ja auch aus L.A., Greg und ich, wir waren Kids. Wir sind zusammen auf Parties, Konzerte gegangen. Und alle waren damals in irgendeiner Band, jeder in L.A. So viele Kids gab es da ja nicht, vielleicht 300 Leute. Und bei jeder Show waren die gleichen 300 Leute. Nur standen mal die, mal andere auf der Bühne und alle davor waren die gleichen Leute wie immer. Jeder hat da auch jedem geholfen. Das war echt cool! Das waren damals die Circle Jerks, Adolescents, TSOL, und wir waren alle irgendwie befreundet.

„Als wäre die Band das Wichtigste“

GETADDICTED: Bad Religion ist die einzige Band, die von denen immer noch eine Rolle spielt. Wo war der Unterschied?
Jay: Der Unterschied war, dass wir direkt Epitaph gegründet haben. Niemand wollte uns einen Plattenvertrag geben, also haben wir selber das Label gemacht. Und wir haben uns dann unter Vertrag genommen! Aber das Wichtigste war: Wir haben das alles nicht zu ernst genommen. In einer Band zu sein, definiert dich noch nicht. Es ist das gleiche, als wenn du Hockey spielst oder ein Auto fährst. Es macht Spaß. Den Mut zu haben, Epitaph zu gründen anstatt zu warten, bis es einer für dich macht, war wichtig. Wir mussten uns auf niemanden verlassen, sondern nur auf uns. Wir mussten also hart dafür arbeiten. Was wir aber niemals wollten, war eine Band, die im gleichen Haus wohnt, ein gemeinsames Auto hat und bei der alle die gleichen T-Shirts tragen. Da haben wir sofort gesagt: Nein, wir sind nicht wie jeder andere. Wenn wir zusammen spielen, haben wir da Spaß dran. Was wir aber alle wussten und wissen: Die Stärke der Band sind ihre Individuen! Wir wollten weiter Individuen bleiben und nicht eine Gang werden.
GETADDICTED: Worin besteht dann heute die Verbindung zwischen den einzelnen Bandmitgliedern? Ihr wohnt ja mittlerweile über die USA verteilt.
Jay: Nichts! Das ist es ja eben! Was uns verbindet, ist, dass wir in einer Band spielen. Das ist alles. Wir telefonieren mal. Wenn wir eine neue Platte machen wollen, fliegen zum Beispiel Brian und ich runter, treffen Brooks und arbeiten an Songs, manchmal kommt Brett vorbei. Als würde einer sagen: „Hey, lass uns Hockey spielen. Bring deine Skates mit. Dann spielen wir Hockey“. Mehr nicht. Wenn ich mir andere Bands manchmal anschaue, muss ich nur noch lachen. Die tun ja, als wäre die Band das wichtigste auf der Welt. Und weißte was? Das ist kein Mittel gegen Krebs. It’s just a fucking band! Mir macht es Spaß mit dieser Band, ich glaube an das, was wir sagen, aber hey: Es ist eine Band! Das war’s! Wir brauchen nicht 24 Stunden am Tag zusammen, wir brauchen keine Konferenztelefonate und wir denken auch nicht, dass das alles so sonderlich wichtig wäre. Ist es nämlich nicht! Überhaupt nicht!
GETADDICTED: Wie muss man sich dann das Songwriting vorstellen?
Jay: Brett und Greg schreiben ihre Songs ja schon zu Hause. Die schreiben ja beide so viele Songs, das ist schon beängstigend. Ich krieg dann immer mal wieder ein Tape mit der Post, hör mir das an, schreib ein bisschen drum herum. Irgendwann treffen sich dann Brian, Brooks und ich, um weiter daran zu arbeiten. Dann sagen wir, der Song ist gut, der nicht so gut, der kommt weg und so weiter. Irgendwann gehen wir dann ins Studio. Beim letzten Mal haben Brett und ich uns einen knallharten Zeitplan gesetzt. Wir hatten vor, jeden Tag wirklich von Mittags zwölf Uhr bis neun Uhr abends zu arbeiten, keine Minute weniger. Am ersten Tag hat das geklappt. (lacht) Nach vier Tagen sind wir um zehn Uhr morgens gekommen und haben bis zehn Uhr abends gearbeitet. Dann sind wir um neun Uhr morgen gekommen und haben bis Mitternacht gemacht. Am Ende sind wir um neun Uhr morgens gekommen und nicht vor drei Uhr nachts nach Hause gegangen. (lacht) Das hat so verdammt Spaß gemacht. Das ist eine Band!

„Ich kann gar keine Bad Religion-Songs schreiben“

GETADDICTED: Habt ihr jetzt schon neue Songs, die sicher aufs neue Album kommen? Das soll ja Anfang 2006 erscheinen.
Jay: Wie ich gerade gesagt habe, wir schreiben erst mal verdammt viele Songs. Die Auswahl treffen wir erst ganz am Ende.
GETADDICTED: Große Experimente werden wir aber wohl nicht erwarten dürfen.
Jay: Jede Platte ist das selbe in anders! Wir machen eben ein Bad Religion-Album. Wenn manche Leute sagen, alle unsere Platten klingen gleich – danke! Wirklich! Das ist unser Job! Wir sind nicht heute Bad Religion, morgen Korn und übermorgen Pearl Jam. Wir sind Bad Religion und wir machen Bad Religion-Alben! Danke! Also wenn ich du wäre, ich würde nichts wirklich anderes erwarten! (lacht) Die Unterschiede kommen in spezifischen Songs.
(in diesem Moment kommt jemand rein, fragt wo er seinen Backstage-Pass her bekommen würde und verschwindet wieder). Was wollte der denn hier? Seinen Backstage-Pass? Hey man! Du bist hier backstage! Wofür willst du jetzt noch nen Pass? (lacht) Jetzt habe ich den Faden verloren. Nächste Frage…
GETADDICTED: Dein Einfluss aufs Songwriting ist ja sehr begrenzt.
Jay: (guckt ziemlich sauer und fängt dann doch an zu lachen) Du hast natürlich Recht. Ich schreibe meinen Bass-Kram und das reicht mir auch. Ich finde, dass Brett Gurewitz einer der besten Songwriter überhaupt ist! Er ist phänomenal! Ich wollte auch nie daran so beteiligt sein. Ich glaube auch, ich kann auch gar nicht so richtig Bad Religion-Songs schreiben.
In dem Moment ist die Zeit auch schon rum und der nächste Interviewer schnappt sich den Bad Religion-Basser…