Interview mit Nagel von Muff Potter 2005

Mit „Von wegen“ steht das fünfte Album von Muff Potter in den Startlöchern – und bevor sich Sänger Nagel im Bakuda in Dortmund auf die Bühne stellt, stellt er sich meinen Fragen.
Im Bakuda dröhnte nach dem Soundcheck schon lautdie Musik, der Laden hat auch keinen zweiten, ruhigeren Raum. „Bist du mit dem Auto? Parkst du weit weg?“, fragte Nagel pragmatisch. Also, ab um die Ecke und kurz nachdem ich einigen Krempel vom Beifahrersitz auf die Rückbank gefeuert hatte, saß der Muff Potter-Sänger auch schon inmeinem 21 Jahre alten Golf zum Interview, stellte seinen Wodka-O vorsichtig auf den Aschenbecher und schon ging’s los.
GETADDICTED: Ihr seid mal als die deutschen Hot Water Music gehandelt worden, dann wart ihr so eine Art Geheimtipp auf dem Sprung nach ganz oben. Wo steht ihr jetzt, nach zig Shows und vor der neuen Platte?
Nagel: Ehrlich gesagt kann ich das nicht beantworten. Wie wir gesehen und bewertet werden, ist ja nicht immer deckungsgleich mit dem, wie wir uns fühlen, wenn wir Musik machen. Vor den deutschen Hot Water Music waren wir auch schon eine Deutschpunk-Band und eine Emocore-Band. Das war, als Emocore noch dieses richtige Leiden und Schreien war. Unsere erste Platte haben wir auf Per Koro, einem Hardcore-Label aus Bremen, herausgebracht. Da waren wir Emocore. Mit dem zweiten und dritten Album hat uns dann das Plastic Bomb Fanzine entdeckt – und da waren wir dann Deutsch-Punk. Dann waren wir Emo ohne Core. Ehrlich gesagt haben wir keine Ahnung, was wir für Musik machen. Wir nehmen dasi mmer amüsiert zur Kenntnis und warten, in welcher Schublade wir als nächstes landen. Ich will da auch gar nicht drüber nachdenken.
GETADDICTED: Eine Veränderung zum neuen Album ist, dass Jule nicht mehr Teil von Muff Potter ist.
Nagel: Jein. Sie ist noch dabei und singt bei zwei Liedern Background-Gesang, bei „Born Blöd“ und „Von wegen (aus Gründen)“, und spielt genau bei den beiden Songs auch Orgel. Bei der letzten Platte hat sie ja auch außer „Schwester im Rock“ noch viel mehr gemacht. Sie war zwar auch bei den Touren dabei, aber sie galt nie als festes Bandmitglied. Es war von vorneherein klar, dass es zeitlich bei ihr nicht für immer hinhauen wird. Im Gegensatz zu uns –wir sind ja alle so Zecken und können sonst nichts und haben keinenordentlichen Beruf erlernt – war sie da gerade in der Ausbildung und hat ihren ganzen Jahresurlaub für diese Band verballert, wofür wir ihr auch auf ewig dankbar sein werden. Es war super mit Jule, aber wir wussten, dass es nicht für ewig sein wird.
GETADDICTED: Eure neue Platte galt in einer Ankündigung als Schnellschuss, weil sie ja gerade im Vergleich zum Vorgänger recht schnell fertigwar. Wie drückt sich das konkret aus deiner Meinung nach?
Nagel: Wir sind tendenziell sehr langsame Songwriter. Wir brauchen relativ lange, um einen Song zu machen, und wir brauchen sehr, sehr lange, um einen Text zu machen. Bei dieser Platte haben wir einfach Songs, Songs, Songs, Songs, Songs gemacht, aus jedem Scheißfurz, aus jeder Kackide eeinen Song gemacht. Mindestens 50 Prozent davon war totaler Scheiß. In der anderen Hälfte waren dann aber auch Songs, die wir sonst nie gemacht hätten. „Allesnurgeklaut“ ist eigentlichaus einem Witz entstanden und ist vielleicht einer der besten Songs, die wir je gemacht haben. Dennis hat versucht, das Riff von „The bitter end“ von Placebo nachzuspielen und hat sich immer mit dem Anschlag vertan. Wir haben dann gesagt, hey wie geil, da machen wir nen Song raus. Irgendwann haben wir gemerkt, dass da ein wirklich gutes Lied bei rauskam.
GETADDICTED: Deswegen auch der Titel „allesnurgeklaut“?
Nagel: Nein, eigentlich nicht. So gesehen passt es natürlich auchdazu. Das ist aber Zufall. Das haben wir aber ganz oft. „Born blöd“ hieß der Song immer, bevor er einen Text hatte, das war nur der Arbeitstitel. Dann habe ich einen Text dazu gemacht. Als ich dann nach einem Titel für den Song gesucht hab, ist miraufgefallen, dass „Born blöd“ wie die Faust aufs Auge passt. Ich habe ja so einen Hang zum Pathos und da sage ich dann: Das ist Magie!!!
GETADDICTED: Bei der Platte erinnern mich gerade instrumentale Parts auch stellenweise an andere Bands.
Nagel: Welche?
GETADDICTED: Zum Beispiel Sportfreunde Stiller am Anf …
Nagel: Ich muss leider jetzt gehen.
GETADDICTED: … am Anfang von „Alles was ich brauch“. Oder manchmal Kettcar.
Nagel: Echt? Ich dachte immer, das klingt wie Weezer! Aber deutsche Bands sind auch keine Einflüsse für uns. Sportfreunde Stiller kenne ich jetzt nicht persönlich. Aber gerade Kettcar schätze ich persönlich sehr. Musikalisch ist es aber überhaupt nicht mein Ding. Ich höre fast gar keine deutschsprachige Musik. Die letzte deutschsprachige Platte, die ich super fand, war „L’etat et moi“ von Blumfeld und das war Anfang der Neunziger. Das heißt nicht unbedingt, dass wir das alles scheiße finden, aber es ist kein Einfluss für uns.
GETADDICTED: Erinnert dich der Refrain von „Alles was ich brauch“ denn an irgendwas?
Nagel: Ja, an „Bounce” von Sarah Connor, weil es so auch gesungen wird (singt und summt die Melodie). Wieso?
GETADDICTED: Ich hatte an dieses „Big big girl in a big big world“gedacht.
Nagel: Was ist das denn noch mal? Das ist auf jeden Fall auf der Niveaustufe von Sarah Connor, oder? Wenn ich jetzt sage, dass Sarah Connor kein Einfluss für uns ist, dann wird mir das ja hoffentlich abgenommen. (lacht)
GETADDICTED: Als ich die neue Platte gehört hab, dachte ich auch mehrmals an die „Bordsteinkantengeschichten“, an ältere Muff Potter.
Nagel: Sie ist natürlich rougher, aggressiver und lauter als „Heute wird gewonnen bitte“. Aber trotzdem finde ich, sie ist ganz anders. Ich finde es aber schwierig, über die eigene Musik so nachzudenken und sie zu bewerten. Wenn du das so denkst, kann ich das verstehen, aber wenn ich eins gelernt habe beim Musik machen, dann, dass man darübernicht nachdenken sollte. Man kann sonst Ideen auch einfach zerdenken. Damit blockiere ich mich selber.
GETADDICTED: Mit „Punkt 9“ ist auch wieder ein Song dabei, der dezidiert politisch ist. Das war ja auch dem Vorgänger nicht der Fall.
Nagel: Das war einfach ein Thema, zu dem wir einen Song machen wollten. Wir sind eigentlich keine Themenband. Ich mache normalerweise nicht irgendwelche Texte, um zu irgendeinem Thema meinen Senf dazuzugeben. Aber in diesem Fall hat mich das so angewidert, diese komische Debatte über eine Deutschrockquote im Radio und diese Videos von Peter Heppner, dieses „Wir sind wir“, das hat mich so angeekelt, dass ich gesagt habe, da muss mal irgendwer ein Statement zu abgeben. Und mir sind in dem Moment so sauwenige Künstler eingefallen, die dazu ein Statement abgeben können. Im Punk-Bereich kommt da ja immer nur dieser ewige „Nazis raus“-Schrott, was nichts mehr zu sagen hat, sondern einfach nur noch Phrasengedresche ist. Direkt politische Texte muss man auch gut machen und den Anspruch haben wir. Ich finde, schlecht gemachte politische Texte sind total öde oder sogar kontraproduktiv. Man tut da sich und der besseren Welt, die man will, keinen Gefallen mit.
GETADDICTED: Inwieweit sind deine Texte autobiographisch? Zum Beispiel der Titeltrack?
Nagel: Gerade der ist nicht komplett autobiographisch. Die Geschichte ist so nicht passiert. Aber da steckt natürlich viel drin, was man schon erlebt hat. Es hat immer eine Verbindung. Ich war schon ganz oft verzweifelt verliebt und hab auch schon sehr oft was auf die Fresse gekriegt. Deshalb kann ich den Song genau so schreiben, ohne dass es mir konkret so passiert ist. Ich habe gestern Nacht in Münster noch auf die Fresse gekriegt.
GETADDICTED: Ich dachte immer, Münster wäre eine harmlose Studenten-Stadt.
Nagel: Das stimmt auch und ich prügel mich auch wesentlich weniger als in diesem Scheißkaff Rheine, wo wir herkommen. Keine Universität, sondern drei Bundeswehrkasernen. Da kannst du dir vorstellen, wie da die Stimmung ist. Da rennen unglaublich viele Prolls rum und Nazis, Türkengangs und aus allem eine große Melange. Gestern waren es dann ein paar rechtsradikale Dorfprollschläger. Ich habe es nicht drauf angelegt, aber ich bin nicht drum rumgekommen.
GETADDICTED: Ihr habt jetzt die Texte auch noch mal auf englisch übersetzt und auch eingesungen. Warum?
Nagel: Um im Ausland touren zu können, das war unser Hauptanreiz. Muff Potter ist eine Band, die sehr gerne auf Tour geht, Deutschland ist kein großes Land und mit deutschen Texten im Ausland ist es sehr schwer. Wie viele Bands hörst du, die nicht deutsch oder englisch singen? Wir sind eine sehr textlastige Band und wenn der Text fehlt, ist einfach die Hälfte weg. Wir haben es dann mal mit übersetzen versucht und es hat funktioniert. Ingo, der Sänger von den Donots, hat ein Label in Japan gegründet, und da sind wir dann auch mit zwei englischsprachigen Songs auf einem Sampler drauf. Wir warten jetzt mal, wie das Feedback ist und vielleicht bringen wir dann mal eine komplette englische Platte raus. Wäre doch super!
GETADDICTED: Ich stelle es mir unglaublich schwierig vor, Texte von Muff Potter gescheit zu übersetzen.
Nagel: Es war auch teilweise nicht möglich, dass die Songs diegleiche Aussage behalten haben. Wir haben dann teilweise komplett neue Texte geschrieben. Die Thematik von „Punkt 9“ kannst du auf englisch natürlich gar nicht rüberbringen. Der Song heißtda jetzt „Lost in translation“, was natürlich wieder ganz gut passt. Wir haben versucht, dass es eigenständige, gute Texte werden. Auf viele Wortspiele muss man natürlich verzichten, aber manchmal sind auch welche dazugekommen. Bei „Alles was ich brauch“ ist ja diese Zeile „zwischen ‚never surrender’ und ‚licensed to ill’ liegt alles, was ich weiß unda lles, was ich will“. Auf Englisch ist es dann: „Between‚never surrender’ and ‚licensed to ill’ I founda place called home, a basement on a hill“. Und “Basement on a hill” ist dann wieder ein Zitat von Elliot Smith. Das hat auf jeden Fall Spaß gemacht.
GETADDICTED: Wie bist du auf die Idee gekommen, Akustik-Shows solo zu spielen?
Nagel: Einfach so. Die neue Platte kommt ja bei einer großen Plattenfirma raus. Vorher habe ich das meiste in der Band gemacht, vor allem wa das Organisatorische angeht mit Hucks Plattenkiste. Dadurch, dass ich das jetzt nicht mehr machen muss, wird bei mir natürlich sehr viel Energie frei, die ich in andere Kanäle leiten kann. Ich hab ja auch zwei Lesungen gemacht. Dennis, unser Gitarrist, macht jetzt auch Musik fürs Theater und auch für Hörspiele. Wir kommen jetzt endlich dazu, das zu machen, was wir wollen, nämlich Musik und sind nicht mit Pakete packen beschäftigt.
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