„Punk ist ein Boys-Club“ – Muncie Girls im Interview

„Ich will nicht sagen, wer das neue Muncie Girls-Album nicht mag, kann sich halt verpissen – aber ein bisschen schon“, Lande Hekt lacht als sie das sagt. „Fixed Ideals“ heißt die neue Platte mit der die Muncie Girls aus Exeter gerade das erste mal unterwegs sind. Wir treffen sie am zweiten Tag der Tour und dürfen uns über ein beeindruckend deutliches Gespräch freuen.

MUNCIE GIRLS IM INTERVIEW

Lande Hekt lümmelt sich mit mir in den Backstage-Raum des AZ Köln. Wir versinken in großen, platt gesessenen Sofas. Währenddessen erzählt Lande, wie sie am Abend zuvor noch die Band PUP in Antwerpen auf einen Drink getroffen haben. Sie ist aufgeregt. Das erste Mal stehen die Muncie Girls heute zu viert auf der Bühne in Deutschland. Endlich die neuen Songs, wie ihren Lieblingstitel „Locked Up“ mit dem spaßigen Gitarrenriff performen.

„Es ist so lange her – zwei Jahre – seit wir hier in Deutschland gespielt haben. Und davor waren wir ja ständig da. Ich glaube, elf Mal! Dean hatte da so nen coolen Trick gefunden, die Fähre super günstig zu buchen. Also sind wir einfach immer wieder gekommen. Deswegen haben wir jetzt super viele Freund*innen in Deutschland.“
Das Spannende ist ja, dass wir in Großbritannien und Deutschland gerade ähnliche politische Bewegungen haben. Neue rechte Parteien beeinflussen die Politik stark und zum Beispiel The Run Up haben mit letztens erzählt, dass es für sie nach dem Brexit viel schwerer werden wird, Bands in die UK zu buchen, Shows zu planen und auch selbst als Band zu reisen. Das hat also einen direkten Einfluss auf Punk-Bands.
„Auf jeden Fall ist das eine Sorge. Aber das Schräge ist, dass der Brexit Menschen in ihren privatesten Rechten beschneiden wird. Und es ist ja ohnehin ein Privileg, in einer Band sein zu können. Da finde ich es dann schwierig, mich zu beschweren, dass ich als Band nicht so gut reisen kann oder sowas, während andere Menschen darin beschnitten werden, ihre engsten Familienangehörigen zu treffen. Das fühlt sich für mich ein wenig nach Jammern auf sehr hohem Niveau an. Trotzdem würde es uns natürlich das Herz brechen, nicht mehr Touren zu können und Menschen aus der Punk-Szene zu treffen.“
Auch eure neue Platte „Fixed Ideals“ ist ziemlich politisch geworden. Was hat dich beim Songschreiben angetrieben?
„Es gibt da ein paar große Themen auf dem Album. Eins davon ist auf jeden Fall, dass ich aufgehört habe, Alkohol zu trinken. Alkoholtrinken hat mir immer viel Spaß gemacht und ich dachte, ich mache es nur deswegen. Aber mir ist klar geworden, dass ich es durchaus auch tue, um mit bestimmten Dingen klar zu kommen. Deswegen wollte ich aufhören und habe dann gleichzeitig das Rauchen und das Trinken aufgegeben.“
Ist dir das leicht gefallen?
„Nein! Es war wirklich schwer! Ich hatte keine krassen Rückschläge, aber mir ist es schwergefallen, das Trinken nicht als Mittel zu nutzen, Situationen angenehmer zu gestalten. Gleichzeitig habe ich festgestellt, dass ich viel kreativer werde. Kunst, Musik, Lesen, das hat wieder viel mehr Zeit in meinem Leben eingenommen. Und auch die Art, wie ich mit Menschen spreche, hat sich verändert. Anstatt in den Pub zu gehen und mit Leuten Bullshit zu reden, habe ich jetzt echte Gespräche über wichtige Sachen – und später erinnere ich mich auch noch daran. Sie inspirieren mich sogar wieder zu neuer Kunst und Musik.“
Stark von dir! Ich habe ein Jahr ohne Alkohol gelebt und das Albernste fand ich, dass Leute immer wieder sagen: das ist so nicht ‚Punk‘ von dir!
„Vielleicht klingt es nicht ‚Punk‘, aber eigentlich ist Trinken nichts, was mit meinen Idealen übereinstimmt. Finde ich die Alkohol-Industrie gut? Ist das nicht super eng mit Kapitalismus verbunden? Und finde ich es richtig, von Dingen davon zu laufen. Die Idee von „Straight Edge“ oder bewusst Leben, das ist eigentlich total Punk für mich. Ich bin ein Punk, seit ich 16 bin. Und ich komme immer näher dahin, was das für mich eigentlich bedeutet. Das ist es auch, worum sich das Album wirklich dreht.“
Ist das für dich auch eine Form von Empowerment, Menschen vielleicht darin bestärken zu können, eben nicht mehr Trinken zu müssen?
„Für mich ist Empowerment die Idee, dass nicht-männliche Personen, People of Colour, alle Menschen, die aufgrund dummer Traditionen unterdrückt sind, dass diese Menschen so Leben können, wie sie es gerne möchten. Menschen in ihrer Eigenheit zu bestärken. Aber ich setze nie voraus, dass das durch meine Musik passiert.“
In einem Interview habt ihr mal gesagt, ihr seht euch auch nicht direkt in einer Linie mit der Riot-Grrrl-Bewegung. Aber trotzdem habt ihr sicher einen Blick darauf, was heute noch immer nicht richtig läuft, in der Punk-Szene, wenn es um die Rechte von FLTI*-Menschen geht.
„Es ist traurig, wenn wir uns überlegen, dass die Riot-Grrrl-Szene in den frühen 90ern begonnen hat. Dank ihr gab es radikale Veränderungen und Konflikte zwischen Menschen in der Szene, die heute noch in Aktionen und Bands weiterleben. Aber das Problem ist immer noch das gleiche: die Punk-Szene ist ein kompletter Boys-Club. So weiß. So heteronormativ…“
War dir das von Anfang an klar?
„Ja! Total! Als ich 18 war, habe ich diesen Workshop gestartet: „School of F-Rock“. Da haben wir jungen Mädels innerhalb von einem Tag Instrumente beigebracht, sie haben sich in einer Band formiert und in derselben Nacht ihren ersten Auftritt gehabt. Einfach, um zu zeigen: so einfach kann es sein! Und die Idee ist entstanden, weil ich gemerkt habe, wie wenig Diversität es in der Szene gibt. Bei mir selbst weiß ich gar nicht, woher das Selbstbewusstsein kam, einfach in einer Band zu spielen.“
Und heute als Band, wie versucht ihr mehr für Diversität auf euren Konzerten zu tun?
„Wir machen auf jeden Fall noch nicht genug. Das ist die erste Tour auf der wir Promoter bitten, Gender-neutrale Toiletten einzurichten und wir wollen unseren Merch-Tisch als ‚Safe-Space‘ kennzeichnen. Unsere Mercherin, Esther, ist ohnehin Teil der Kampagne ‚Good Night Out‘ und bringt Menschen bei, mit sexuellen Übergriffen im Nachtleben umzugehen. Wir können also locker mehr machen. Oft ist das Problem, dass es uns nicht auffällt oder auch einfach zu anstrengend ist. Ich wäre ja gerne mehr wie Kathleen Hanna (Le Tigre/Bikini Kill) und würde nach der Show mit Menschen an der Bar abhängen, um mehr vom Publikum mitzubekommen. Aber nach der Show müssen wir oft packen und dann bin ich einfach müde. Da muss ich auch einsehen, dass ich nicht alles geben kann. Aber wir reden viel darüber und wollen noch mehr tun.“
Manchmal ist es ja auch seltsam, seine Macht als Band zu nutzen und Forderungen an die Konzertgruppen zu stellen.
„Ach, das finde ich gar nicht so seltsam. Aber für mich ist es auch einfach schwierig, als Frau auf der Bühne zu stehen und zu sagen: ‚So und jetzt kommen mal die Mädels zum Pogen nach vorne.‘ Was wenn sie es nicht machen und mich die Jungs in der ersten Reihe einfach nur fragend anstarren? Trotzdem muss mehr passieren. Und irgendwann ist es dann mit Sicherheit auch einfach normal, dass ich in die erste Reihe schauen und da direkt mehr weibliche Gesichter erblicke.“
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