PÖLEN & PUNKROCK (1): Mehr als Fußball, Ficken, Alkohol?

Sommerpause ist vorbei, Fußball geht wieder los. Manchmal stellt man sich die Frage: Was soll ich auf der Fahrt zum Stadion eigentlich hören? Fußball in Verbindung mit Gitarrenmusik klingt halt meistens nach „Auswärtsspiel“, „Bayern“ oder – noch schlimmer – „Mexico“. Geht gar nicht! Hier möchten wir mit dem Dossier PÖLEN & PUNKROCK intervenieren und mit Hintergründen, kurzen Artikeln und Interviews einen genaueren Blick auf das Thema Fußball in Verbindung mit Punkrock und einer offenen Fankultur werfen. Die Recherchen sind ergebnisoffen und haben sicherlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im ersten Teil der losen Serie beginnen wir mit einem kompakten historischen Überblick und den Fragen: Wie passen Pölen und Punkrock eigentlich zusammen? Wo kommt die Fußballaffinität her? Was braucht man für einen guten Fußball-Soundtrack und wen nicht?
Wer keinen Bock hat zu lesen oder einfach nur Musik hören will, der kann direkt zu unserer PÖLEN & PUNKROCK Spotify-Playlist wechseln.

Pölen & Punkrock: Wie passt das zusammen?

Fußball und Punkrock haben ein sehr ambivalentes Verhältnis. Auf der einen Seite war Fußball schon immer irgendwie Teil von Punk und Gegenstand von Punkrock-Songs, auf der anderen Seite gibt es auch viel Kritik: Die vereinszentrierte Fankultur hätte mit ihren Vereinsemblemen, Sprechchören und wehenden Fahnen faschistoide Züge und überhaupt gäbe es zu viel „wir“ gegen „die Anderen“. Dass Fußball und Fankultur mehr ist als sich gegenseitig im Wald auf die Fresse zu kloppen, wird von kritischen Stimmen oft ignoriert.
Warum gibt es also Bands, wie Mogwai, die mit  „Zidane: A 21st Century Portrait“ einem Fußballspieler ein ganzes Konzeptalbum widmen? Warum trägt Vinnie Stigma im Video zu „Gotta Go“  (1998) ein Trikot von Schalke 04? Und wie kommt es dazu, dass The Gaslight Anthem-Gitarrist Alex Rosamilia ständig Klamotten von St. Pauli auf der Bühne an hat?
Grundsätzlich gilt das, was 11Freunde-Chefredakteur Philipp Köster sagt: „Wenn man Anhänger im Profifußball ist, bedeutet das immer Schmerzen und Kompromisse.“ Kompromisse sind schön und gut, aber wie im alltäglichen Leben, darf man bei gewissen Themen auch im Stadion die Fresse aufmachen: Rassismus und Homophobie haben im Fußball nichts zu suchen. Das Gleiche gilt auch für den Bereich Fußball und Musik: Es gibt viel zu viel Rotz und man muss ganz schön lange suchen, um gute Songs zu finden.

„Egal ob Fußball oder Golf: Nazis in den Fleischwolf!“ Kotzreiz

Worum wird es hier also nicht gehen? Dass auch Rechtsextreme fußballaffin sind und es in kleinem Rahmen sogar geschafft haben die EM 2016 in Frankreich für sich zu instrumentalisieren, soll absolut nicht negiert werden. Wer sich mit dem Thema Nazis im Fußball aber näher beschäftigen möchte, dem sei die Kategorie Fußball von Endstation Rechts, ganz allgemein der Störungsmelder von ZEIT Online, die Arbeit des Bündnis Aktive Fußballfans (BAFF) oder die MDR Reportage „Rechte Gewalt: Vom Stadion auf die Straße“ eher ans Herz gelegt. In dieser Serie soll es um Musik mit Bezug zum Thema Fußball gehen, die sich deutlich von Rassismus, Gewaltverherrlichung, Homophobie abgrenzt und sich musikalisch von reinen Bandprojekten von Fans abhebt.
Aus diesem Grund werden rechte und rechtsoffene Bands ausgeklammert – und hier gibt es eine Menge auszulassen. Wir haben uns dafür entschieden, diesen Bands grundsätzlich keine Plattform zu bieten, da viele explizit Provokation und Kritik in ihre Öffentlichkeitsarbeit einplanen. Aus diesen Gründen wird daher auch die Frühphase einer Band ausgeklammert, die von Jan Buschbom vom Berliner Violence Prevention Network, als erste Band identifiziert wird, die sich für die „erste popkulturelle Bearbeitung der Ambivalenzen des Themas“ Fußballfan-Sein und Hooligans verantwortlich zeichnet.

“And then we’d start playing (football) and writing music. It was our way of warming up.” Joe Strummer

Aber was ist der Ursprung für unseren Soundtrack? Natürlich kamen die ersten Punkrock-Songs mit Bezug zum Fußball aus England. Wie sollten Bands wie The Heartbreakers oder The Ramones in New York Mitte der 1970er auch beim Bier trinken am Basketball Court eine passionierte Fußballaffinität entwickeln? Die Mitglieder der britischen Punkbands kamen überwiegend aus dem Arbeitermilieu und dort schaute man nun mal den Volkssport Fußball. Angeblich machten sich The Clash vor den Aufnahme zu „London Calling“ sogar mit Fußball spielen warm. Joe Strummer war darüber hinaus glühender Chelsea-Anhänger, ebenso Sex Pistols-Drummer Paul Cook und Suggs McPherson und Chas Smash von Madness. Monkey von The Adicts hatte vor dem Start der Band Folgendes im jugendlichen Kopf: „Football hooliganism, underage drinking and chasing girls, playing football, betting on horses, Scrabble and solo Yahtzee late into the night.“
Einen der ersten Fußball-Klassiker im Power Chord-Gewand nahmen Cockney Rejects auf. Die Band aus East London coverte 1980 die Hymne von West Ham United „I’m Forever Blowing Bubbles“, der in England eine ähnlichen Kultstatus wie „You’ll Never Walk Alone“ hat. Den coverten The Adicts 1982 und veröffentlichten ihn als B-Seite von Chinese Takeaway. In den Folgejahren wurden diverse Punk-Songs mit expliziten Fußball-Bezug veröffentlicht, wobei sich die Mehrheit um das Thema Hooligans drehten – etwa „Football Song“ von The Ejected (1982). Kicker Conspiracy (1982) von The Fall ist eines der besseres Beispiele, das sich bereits kritisch mit englischen Fußballfunktionären  („Under Marble Millichip, the FA. broods“), Spielern („In the booze club, George Best does rule“) und der Kommerzialisierung des Sports auseinandersetzt. Ungefähr zur gleichen Zeit schwappte das Thema auch über den Ärmelkanal nach Hamburg, Düsseldorf – und sogar München.

„Wir wollten „Fussball, Ficken, Alkohol“. Hätte es diesen Song der Lokalmatadore damals schon gegeben, wir hätten ihn rauf und runter gesungen.“ Dirk Jora, Slime

In Deutschland waren es wohl die klassischen Bands, die sich früh punkmusikalisch mit dem Spiel auf dem grünen Rasen und dem Drumherum beschäftigten: ZK mit „Fußball und Alkohol“ (1981) und Slime mit „Block E“ (1982). Ex-HSV-Fan Dirk Jora beschreibt die Stimmung damals in der Slime-Biographie so: „Wir waren eher prolliger drauf, Rock n Roll halt. Die Ausrichtung war klar: gegen Rechts. Gegen Rassismus. Aber man durfte auch mal ‚Fotze‘ sagen, ohne dass es gleich ein Plenum gab. Wir wollten ‚Fußball, Ficken, Alkohol‘. Hätte es diesen Song der Lokalmatadore damals schon gegeben, wir hätten ihn rauf und runter gesungen.“

Marionetz aus München verewigten auf ihrem Album „Jetzt Knallts“ (1981) ihre Zuneigung zum TSV 1860 München und brachten lange vor der populären ZK-Nachfolgeband Die Toten Hosen ihre Abneigung gegenüber dem FC Bayern zum Ausdruck. Eine echte Perle ist die EP „Der S04 und der BVB“ (1983) sowie der gleichnamige Song von The Idiots, der die gewaltätigen Auseinandersetzungen während des Revierderbys Dortmund gegen Schalke in den 80er Jahren kritisch kommentiert. A propros Perlen: Ende der 80er veröffentlichte Die Walter Elf aus Kaiserslautern das Album „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1988). Der titelgebende Song steht, wie Damenfußball (1989) von Frohlix, in der Tradition der poppigen Deutschpunk-Welle der Zeit und hat absolutes Hitpotential.

Gewalt, Hooligans und Nazis waren vor allem in den Neuzigern prägnante Themen. Richtig erschreckend ist die apokalyptische Stimmung, die HASS in „Hooligans“ (1990) herauf beschwören. Fast möchte man diesen Song als prophetischen Soundtrack für Rostock-Lichtenhagen bezeichnen. Bei den Boxhamsters klang die Verarbeitung dieser Entwicklungen in „Falsche Kreuze“ (1993) so: „Die Töne laut nach Vaterland, nur ich bleib leis daheim / ihr zeigt die Zähne und der Fußball macht euch stark / die Reichskriegsflagge weht – wir haben wieder neue Helden/ und uns’re beste Waffe ist die starke Mark“. Bei Dackelblut wird in „Edwin Van Der Sar“ (1997) ein 0:8 gegen Holland sogar zu einer der wenigen Möglichkeiten einer realen Naturkatastrophe in Deutschland. …But Alive verarbeiteten diese Thematik in anderen Songs und verbinden auf ihrem finalen Album „Hallo Endorphin“ (1999) Fußball mit persönlicheren Ereignissen: „Entlassen vor der Winterpause“ und im Akustiksong „Erinnert Sich Jemand An Kalle Del’Haye“. Auch ein persönlicher Song ist die fantastisch Hommage an „Toni Schumacher“ (2001), die Knochenfabrik auf „Deutschmark muss sterben“ veröffentlichte.

Vereinsbezogen und humoristisch geht es weiter. Die durchaus lustige Dead Kennedys-Hommage der Spermbirds, „Kaiserslautern über alles“ (1995), steht ganz im Zeichen des 1. FC Kaiserslautern. Auch BUMS, die zeitgleich als Fluchtpunkt Terror auf den Schlachtrufe BRD-Samplern vertreten waren, konzentrieren sich auf einen Verein – ihre Debüt-EP heißt „Schwarz-Gelbe Borussia“ (1992). Der anderen Seite des Revierderbys huldigen Die Lokalmatadore aus Mülheim an der Ruhr, die mit „Fußball Ficken Alkohol“ (1994) die Rezeption des Themas Fußball im Punkrock nachhaltig prägen. In diese nicht ganz ernstgemeinte Kerbe schlagen in der Folge auch Molotow Soda mit „Meine Mutti ist ein Hool“ (2000), Die Kassierer mit „Kommste mit ins Stadion“ (2003) oder Kotzreiz mit „Fußball“ (2010). Auf der Oi-Schiene hingehen fahren die Broilers auf ihrer Debüt EP „Schenk Mir Eine Blume!“ (1996) mit „Paul der Hooligan“ und Emscherkurve 77 auf „Die Macht vom Niederhein“ (2001). Auch eher mäßig sind die meisten fußballaffinen Songs der letzten Jahre, wie „Kevin Keegan“ (2008) von den Skapunkern No Life Lost, „Günther Netzer“ (2010) von Chefdenker oder „Das kann nur die Viererkette“ (2011) der 2004 neuformierten Abwärts. Grundsätzlich werden heute mit Fußball und Punkrock zwei Sachen assoziert: Natürlich der FC St. Pauli und der etwas rabiatere Klang des Ruhrpotts. Wie sich das anhört?
Im zweiten Teil von PÖLEN & PUNROCK geht es demnächst weiter mit einem genaueren Blick auf das St. Pauli-Umfeld, den Schmelztiegel Ruhrpott und Bands, die sich auf Fußballtrikots verewigt haben. In der Zwischenzeit könnt ihr in die Spotify-Playlist reinhören, dort sind die meisten erwähnten Songs drin.
PÖLEN & PUNKROCK – SPOTIFY-PLAYLIST