Rise Against, Architects, Touché Amoré in Dortmund 2012

Rise Against in Dortmund 2012, Foto: jens Becker

Rise Against haben sich von kleinen Clubs über große Läden in die Hallen gespielt – und auch hier machen Tim McIlrath und Co. eine verdammt gute Figur – die können auch Stadion!

„Scheiß Tribüne – Rise Against, Architects und Touché Amoré in der Westfalenhalle, Dortmund // 02.03.2012

Da kommen Rise Against nach Dortmund, verkaufen den gesamten Innenbereich der Westfalenhalle 1 bereits Wochen vorher aus, die unbesetzten Stühle auf der (O-Ton: Stehplätze) „Scheiß Tribüne“ sind am Konzertabend mehr als überschaubar und du denkst dir: Wie irre ist das denn?
Klar ist Rise Against in der Westfalenhalle kein kuscheliger Gig im soziokulturellen Zentrum, sondern ein Massenevent. Aber das muss man entweder in Kauf nehmen, oder zuhause bleiben. Ob jetzt verrückt, oder nicht, wenn 10.000 Kids Bock auf intelligenten Punkrock haben, dann ist das zig Mal besser, als wenn sie zu so einem Bockmist wie Freiwild pilgern. Leider nimmt vor Beginn niemand die Bierbude in die Mangel, die meint, am U-Bahn-Ausgang den böhsesten Schrott aus ihren Lautsprechern dröhnen zu lassen.
touche_amore_do_2012_03Irgendwie hat es ja auch im Nachhinein sein Gutes, dass die Staus auf dem Hinweg – nicht etwa auf der A 40 sondern auf dem Weg zum Parkplatz und (nach gefühltem zehn Minuten-Fußweg) am Eingang – dazu führen, dass Touché Amoré im Vorprogramm verpasst wird, weil die Bühne an diesem Abend sicher einige Nummern zu groß für diese großartige Band gewesen sein wird. Architects hingegen brillieren im Anschluss nicht wirklich mit Einfallsreichtum, bringen die Halle mit ihrem selbstbewussten Auftritt jedoch durchaus zum Brodeln und entfachen mit ihrem Mathcore-Sound u.a. einen vierfachen Moshpit. Einen vor dem ersten Wellenbrecher, einen doppelten in Form einer 8 sowie einen weiteren kleinen. Sieht anständig aus.
(Ergänzung zu Touché Amoré: Der Sound war zwar so klar wie der Blick durch eine regenvertropfte Brille nachts im Nebel bei Gegenlicht und klarte nur langsam etwas auf. Aber wenn der Innenraum bis zum Mischpult gegen Ende im Takt mitklatscht, hat die Band doch einiges richtig gemacht)
rise_against_do_2012_09Punkt viertel vor zehn stürmen Rise Against auf die Bühne und die Westfalenhalle verwandelt sich in einen Hexenkessel wie sonst nur in der entscheidenden Sechs-Tage-Rennen-Schlussrunde vergangener Tage. „Survivor Guilt“ vom aktuellen Album „Endgame“ und der „The Sufferer And The Witness“-Klassiker „Ready To Fall“ bringen den Tanzmob auf Betriebstemperatur, die dann bei „Collapse – (Post-America)“ so richtig erreicht ist. Angeführt von Gesangslotse Tim löst das RA-Schnellboot wieder und wieder Wellenbewegungen – nein keine Laola! – im weiten Rund aus. Inmitten durchweg überzeugender Songs setzt „Drones“ ein erstes von drei Stimmungs-Highlights.
Ein paar Plätze nebenan kann die Oberschulfraktion nachweisen, dass sie schon 16 ist und bekommt vom Zapfwart einen „leckeren“ Becher Pils gezapft. Bretzel gibt es ganz ohne Ausweiskontrolle. Warum es so wichtig ist, dass pubertierende Jugendliche in großer Anzahl inhaltsvolle Musik wie die von Rise Against hören und sich an der ein oder anderer catchy verpackten Message orientieren, unterstreicht die „Endgame“-Hymne „Make It Stop (September´s Children)“:
„And too much blood has flown from the wrists, of children shamed for those they chose to kiss. Who will rise to stop the blood. We’re coming for, insisting on, a different beat. A brand new song.“ Damit Mobbing von homosexuellen Teenagern durch ihre Mitschüler, das zitierter Track thematisiert, wenn schon nicht abzuschaffen, aber doch immerhin eingeschränkt werden kann, bedarf es Botschafter wie Rise Against. Vor allem wenn trottelige Möchtegern-Präsidentschaftskandidaten und das Herr reaktionärer Arschlöcher gleichgeschlechtliche Liebe in einem bibelgefestigten Land als Sünde und sonstiges Unheil bezeichnen.
rise_against_do_2012_04Dass die Band aus Chicago nicht nur laut auf sich und ihre Inhalte aufmerksam zu machen versteht, zeigt das von Tim solo vorgetragene „Swing Life Away“. Ein Mikro und eine Gitarre, mehr braucht er nicht, um die komplette Westfalenhalle im Griff zu haben. Zum großen Finale geht es dann nochmal drei Spuren heftiger zur Sache und „Savior“ lässt vom Mittelrang aus die Zuschauer im Innenbereich wie eine durchgedrehte Ameisenkolonie erscheinen.
 
Hinausbegleitet wird beseelter Gast schließlich von Nirvana. Zum Glück nur vom Band, denn ein drogenschwangerer Anti-Held, der sich selbst die Birne wegschießt, taugt nun wirklich nicht als Vorbild für psychisch fragile Jugendliche. Dann lieber noch drei Mitschüler von Rise Against begeistern, beim nächsten Mal das Stadion vollpacken und in der Zwischenzeit ins örtliche JuZe gehen!
(Fotos + Ergänzung: Jens Becker, Text: Michael Blatt)